Renata von Wartensee - Eine romantische Erzählung

Renata von Wartensee

Unter der österreichischen Herrschaft war Sempach ein sehr abträgliches Steuerobjekt. Dessen Gefälle hatte der Vogt von Rothenburg einzutreiben. Es liess sich wonnig leben an dem gesegneten Seegelände, dessen Umgebung idyllische österreichische Edelsitze ­umrahmten. Das Schloss Wartensee zählte zu den Schönsten. Bewohnt wurde das Schloss, am Seeufer gegenüber des Städtchens Sempach, von einem älteren, ­ritterlichen Haudegen, der es vorzog, dort in Ruhe seinen Lebensabend zu geniessen. Zu seiner Familie ­gehörten ein in ausländischen Diensten stehender Sohn und die Tochter Renata. Mit den Sempacher Bürgern unterhielt der Ritter ein friedliches Verhältnis. Das gute Einvernehmen der Rittergilde bewies auch der Umstand, dass das Schlossfräulein Renata selbst in seinem Gespann regelmässig ins Städtchen zum Einkaufen fuhr. Ihr gütiges Wesen und ihre Holdseligkeit gewannen ihr alle Herzen.

Wie konnte es da ausbleiben, dass sich Matthias, der Sohn des Stadtschreibers von Sempach in sie ­verliebte? Er fand leicht Gelegenheit, sie von seinen ­Gefühlen wissen zu lassen. Renata erwiderte sie und begeisterte sich an seinen schwärmerischen Liebes­beteuerungen. Niemand wusste weiter von diesem stillen Glück, wenn es den Bürgern auch auffallen musste, wie oft Matthias an schönen Abenden auf den Stadtmauern mit Lichtsignalen gegen Wartensee hin zu tun hatte. Seine Bootsfahrten ans andere Ufer erklärten sie sich als natürliche Leidenschaft für Wellen und Wogen und Fischfänge. So standen die Dinge lange Zeit und die Liebenden genossen der Erde Himmelsluft in Sonne und Mondenschein.

Aber eines Tages flüsterten Mägde und Knechte allzu deutlich von den Begegnungen. Bald fiel der erste Reif auf die zarten Liebesblüten ­Renatas. Der Ritter sprach ihr sein heftiges Missfallen aus und unterliess nicht ihr zu sagen, dass er höhere Pläne mit ihr vorhabe. In der Stadt durfte Renata jetzt keine Besuche mehr machen. Die Einkäufe besorgte ein Diener. Doch wie die Liebe erfinderisch ist! So ­gelang es der Einsamen, den Diener als Boten zu gewinnen. Nicht lange nach dem Auftritt ihres Vaters las Matthias in einem von Tränen benetzten Brief von dem schmerzlichen Zwischenfall, aber auch von ihren Schwüren ewiger Treue. Nach langen, schlaflosen Nächten war sein Entschluss gefasst: Mutig trat er vor den Schlossherrn. Mit leidenschaftlichen Worten versuchte Matthias ihn umzustimmen. Er fand nur taube Ohren, und der Ritter sprach: «Ein Rittergeschlecht hat andere Familienziele als in kleinbürgerlichen Amtsstuben unterzugehen. Vermesst Euch nicht, junger Mann. Heiratet in Euren Kreisen und bleibt ein guter österreichischer Untertan.» Ein österreichischer Untertan! Wie schmerzlich traf dieser Stachel sein Herz. Doch die Zeit spielte in Matthias’ Hände. Sempach wandte sich allmählich von Habsburg ab und Matthias drängte seine Mitbürger nicht nur aus patriotischen Gründen dazu. Ihn leitete vornehmlich auch die Hoffnung, als freier Schweizer eher in die Gunst des Ritters zu kommen und so Renata als die Seine zu sehen.

Nachdem die Luzerner die Festung Rothenburg zerstört und den Vogt des Landes vertrieben hatten, sagte sich auch Sempach im Januar 1386 entschlossen von Österreich los und trat zu den Waldstätten über. Doch gerade dadurch kam der Stein in gefährliches Rollen. Herzog Leopold befahl den Krieg gegen die abtrünnigen Bauern. Im Schloss Wartensee wusste man davon und Renata war es, die Matthias heimlich davon in Kenntnis setzte. So war Sempach gewarnt und konnte die Eidgenossen verständigen. Gegen Mitte des Jahres 1386 war Herzog Leopold bereits im Anmarsch. Aus allen ­Gegenden zogen seine Vasallen zu ihm nach Sursee. Schon belagerte eine freche Kriegerrotte als Vorhut Sempach. Matthias glühte vor Kampfeswillen und harrte mit seinen Getreuen hartnäckig auf den Stadtmauern aus. Am 9. Juli war das glänzende Ritterheer ob Sempach versammelt. Matthias und seine Verbündeten beteten zu Gott, er möge den Eidgenossen beistehen. Da, um die Mittagszeit, geschah das Unglaubliche. Boten kamen vom Schlachtfeld mit der frohen Siegesnachricht. Rauschender Jubel erscholl im Städtchen und Matthias leuchtete hellauf. Sieg, Sieg, nicht mehr Untertan!

Noch gegen Abend stiess er mit seinem Boot nach dem jenseitigen Ufer auf Schloss Wartensee zu. «O teure Renata, wie würden wir glücklich sein!» Näher und näher kam er ans Ufer. Stand dort nicht schon auf der Schlossterrasse die Geliebte, die ihm ­zuwinkte? Doch kaum das ersehnte Ufer erreicht, sah er sich unvermutet einem Rudel flüchtiger Feinde gegenüber, die ihm alsbald mit den Waffen zu Leibe gingen. Der ungleiche Kampf dauerte nicht lange. Aus vielen ­Wunden blutend, sank Matthias trotz übermenschlicher ­Tapferkeit tot zu Boden. Sein letzter Ruf galt Renata. Wie die Sage geht, nahm das unglückliche Schlossfräulein, ungeachtet aller Einreden des Vaters, den Schleier und trat in ein lothringisches Kloster ein.